Donaukurier
19.10.2002
Durch : Reinhard Köchl
Randy Weston Trio
Tap tap tap: Ein
Jazzkonzert klingt anders. Und sieht auch anders aus. Im Neuburger
„Birdland“-Jazzclub bilden drei mit farbenfrohen Kaftans bekleidete Männer
ein Trio. Einer spielt Klavier, der andere bedient den Bass, und wo sonst
das Schlagzeugset die Bühne füllt, steht diesmal eine Conga-Batterie.
Bei Randy Weston ist alles ein wenig merkwürdig. Der wundersame
amerikanische Pianist steht trotz seiner 76 Jahre nach wie vor für
unverblümten Nonkonformismus und leichtfüßige Grenzüberschreitung, für das
Zusammenführen zweiter Kulturen bis zum Sichtbarwerden der gemeinsamen
Wurzeln.
Durch die Performance des baumlangen Hünen, den viele als eine der letzten
noch lebenden Legenden aus der goldenen Ära von Bebop und Hardbop
bezeichnen, fließt unverkennbar dickes afrikanisches Blut. Wenn seine
Pranken feinsinnig in die Tastatur greifen, hat es manchmal den Anschein,
als würden Duke Ellington und Thelonious Monk gemeinsam die Riten eines
vergessenen Buschvolks begleiten. Was von Stück zu Stück irgendwie
selbstverständlicher erscheint.
Die Suche nach dem Geist seiner Vorfahren beseelt den afro-amerikanischen
Musiker, der sich gerne als Historiker bezeichnet und noch am Tag vor
seinem Neuburg-Gastspiel in Alexandria zur Eröffnung der Bibliothek vor
den Staatschefs Mubarak und Chirac konzertierte, seit vielen Jahren.
Und es ist hoch spannend, Westons Fährten zu folgen. Sie beginnen bei
Blues, Gospel und Spirituals, zweigen kurz, aber nicht zu lang in eine
Seitenstraße des Swing ab und landen schlussendlich bei den tranceartigen
Elogien der Gnawa, die es vor Jahrhunderte als Sklaven an die Küste
Nordwestafrikas verschlug.
Sperrige Melodiekürzel schweben wie Beschwörungsformeln durch den Keller
der Hofapotheke, unterbrochen oder hoch katapultiert vom bunten Geflecht
der Rhythmen des Perkussionisten
Neil Clarke oder dem unglaublich hart, fast durchdringend gezupften
und tief in der Magengrube landenden Bass von James Lewis. Konsequenter
als Weston verwandelt niemand mehr Zeit in Harmonie, kein anderer
kultiviert so sehr die perkussive Dimension des Pianos, das bei ihm oft
wie ein Schlagzeug mit 88 Fellen wirkt. Aus Groove entsteht Struktur,
Verzauberung auf höchster Ebene.
Die Titel tragen Namen wie „Kom Ombo“, „Ancient Future“ oder „Roots of the
Nile“: Schwere, dunkle, mystische, schaukelnde Kunstwerke, großartig und
viel zu tiefschürfend, als dass sie in die Schublade der meist
oberflächlich gezimmerten Machwerke der Marke „Weltmusik“ passen würden.
Aber auch „Hi Fly“ taucht auf, Randy Westons schwereloser
Alltime-Jazzwalzer. Diesmal serviert ihn der Meister im schlurfenden Beat
voller Ungereimtheiten, Winkeln, Ecken und Kanten und langsam sich
verschiebenden Ostinati. Oder das holprige, stotternde, fast widerwillig
anlaufende „Caravan“, das unweigerlich in einen übermächtigen Strudel
hineingezogen wird.
Überhaupt: Der Elfenbein-Schamane serviert frappierende Lösungen für
scheinbar unlösbare Probleme. Wenn Randy Weston den aufbrausenden
Perkussionssturm Clarkes lediglich mit zwei erhobenen Händen Einhalt
gebietet, einen leisen, federnden, tippelnden Lauf einwirft und die
Trommel beim hauchzarten Klopfen auf die höchste Taste des Bösendorfers
wiederfindet, dann ist das – gerade wegen der verblüffenden Einfachheit –
ganz große Kunst. Das Publikum im „Birdland“ empfand es genauso. Selten
wurde ein Musiker weit nach Ende des Konzertes mit derart frenetischem
Applaus zu einer weiteren Zugabe „gezwungen“.
Reprinted with
permission Copyright (c) 2006
Donaukurier and
Reinhard Köchl
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